Vollzug des Leibes
Denken heißt Existieren in innerweltlichen Handlungszusammenhängen. Verhalten ist Vollzug des Leibes auf die Welt hin und auf eine selbstbewusste Beziehung des Geistes zum Leib nicht angewiesen. Der Leib gibt vor, wie ich die Welt erfahre, ist immer schon bei der Welt, der Mensch als Leib ist in der Welt verankert, vor allem bewussten Handeln und Denken. Bewusstsein gründet im Leib, daher muss es der Leib verstehen, wenn der Geist es begreifen will: der Leib ist das Sinnfundament der Welt, die ich erkennen kann, gibt vor, inwieweit und in welcher Weise mir die Welt zugänglich ist. Daher sind der Geist und seine Schöpfungen über die Welt, den Leib und dessen Beziehungen zu anderen und anderem nicht erhaben, sondern Ausdruck derselben. Wir existieren nicht einerseits und denken andererseits; Denken ist kein Akzidens der Materie, sondern existenzbedingt. Verkürzt gesagt: Denken ist Materie. Betrachtet man das Verhältnis Geist/Materie in dieser Weise, kann die Technik in kein widersprüchliches Verhältnis zur Natur treten.
Trotzdem wird in der westlichen Welt der Geist traditionell als vom Leib verschieden vorgestellt. Schöpfungen des Geistes gelten als Schöpfungen wider die Natur, als agiere der Geist in einer abstrakten Sphäre, aus der er seine Erfindungen in die Welt hinüberträgt. Basis dieser Dichotomie ist eine Ontologie, die zwischen empirischer und rationaler Erkenntnis trennt. Dabei wird rationale Erkenntnis als etwas gedacht, was beziehungsunabhängig im »reinen Denken« stattfände; es soll seine Basis in den Wesenheiten bzw. Gegenständen überhaupt haben. Danach stelle ein Gedanke selbst keine Erfahrung, keinen sinnlichen oder leiblichen Vorgang dar. Die Veränderung des Leibes ziehe somit auch keine Veränderung des Geistes nach sich, vielmehr geht man von geistigen Strukturen aus, die ein für alle Mal feststünden – ganz so, als wäre der Geist kein Teil der Welt. Auf diese Weise werden die Schöpfungen des Geistes, die Artefakte, in ein ontisches Gefälle zur Natur gebracht.
Das Selbst ist kein innerer Zustand. Leibsein, Selbstsein, Denken und Erleben sind keine subjektiven Zustände. Der Mensch ist keine Insel. Das Seelenleben ist nicht etwas Eigenes. Glauben heißt nicht, nach Innen zu gehen, sondern in Kontakt zu gehen. Wir gehen nicht aus unserem Sein oder unserer Existenz heraus in Verbundenheit, sondern Sein heißt Verbundenheit. Wir sind auf existentielle Weise verwickelt. Sprache ist Ausdruck von Verwicklung, Denken ein Produkt von Verwicklung. Verbundenheit ist keine Möglichkeit – etwas, worauf ich mich einlassen kann oder nicht –, sondern existentiell. Erst aus der Verbindung heraus, können wir uns absondern. Der Seelenraum ist ein spätes Produkt. Der Computer schneidet den Kontakt komplett ab und ersetzt ihn durch totale Innerlichkeit. Subjektivität ist nichts Inneres, sondern Ausdruck und Ergebnis von Kontakt in der Welt und nur als Kontakt mit dieser existent. Subjektsein ist keine Innenperspektive, sondern eine Beziehungsperspektive. Es gibt nicht mein Selbst, das Possesivpronomen lässt sich nicht auf das Selbstsein oder Subjektsein anwenden. Ich stelle keinen Kontakt mit mir her, indem ich in die Introspektion gehe, sondern indem ich mir der Verbundenheit mit der Welt gewahr werde. Das Selbst oder Innen ist im Kontakt zu finden, in der Verbundenheit, nicht in der Reflexion, nicht in der Distanznahme, nicht in der Introspektion.
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