Methoden des Theoriedesigns
Wissensgenese ist ein nicht-linearer Prozess. Wissen gehorcht keinem logischen Traktat, sondern entsteht bei der Bewältigung handlungsrelevanter Probleme. Sowohl alltägliches wie auch wissenschaftliches Wissen wird auf diese Weise generiert. Daher ist Wissen niemals absolut. Denn da Wissen perspektivisch gebunden ist, kann es nur dann auf eine Weise ›wahr‹ sein, wenn es auf eine andere Weise ›falsch‹ ist.
Jedwedes Wissen entsteht in einem bestimmten Kontext, zu einer bestimmten Zeit, in einem bestimmten Körper und einem bestimmten Beziehungsgeflecht, und ist nur insofern wahr und gerechtfertigt, wie es die jeweilige Perspektive widerspiegelt, reguliert, Erfahrungen bewältigen, integrieren, ordnen hilft. Realität und Wissen (bzw. Realität und Fiktion oder Realität und Idee) sind also perspektivisch gebunden. Sie haben einen Punkt in Zeit und Raum und können jenseits dieses Punktes nie ganz nachvollzogen werden.
Daher ist Wissen nur bedingt diskursfähig. Es lässt sich realisieren, aber es lässt sich nicht feststellen. So gesehen erforschen wissenschaftliche Fakultäten die Realität weniger als dass sie sie entwerfen. Sie sind Produktionsstätten dessen, was erst noch zu leben sein wird – oder im Als-ob-Modus bereits gelebt wird. So sie sich methodisch verhaften, arbeiten sie langsamer als Künstler und reproduzieren Probleme, wo sie ihre Vorgehensweise nicht ändern. Nichtsdestotrotz sind sie nicht grundsätzlich anders als die Kunst oder das Handwerk. Der Unterschied liegt lediglich in der Art, in der über sie reflektiert wird. Die Reflexion überspannt die Dinge mit Bedeutung wie eine Haut den Körper. Es dauert nicht lange, da ist sie das positive Stadium und die zugeschriebene Eigenschaft wird zur tatsächlichen – Ergebnis einer sozialen Praxis.
Da eine vom Handeln unabhängige Realität nicht existiert, gibt es auch kein Wissen über Realität, das über die Kognifizierung der im gerade aktuellen Handeln (Lebensform, Routine) implizit bereits eingelagerten Affektzustände hinausginge. Beide, Wissen und Realität, sind Zweige des Handelns.
Wissen entsteht nicht nur innerhalb des Körpers, sondern als Teil des Handelns und Wahrnehmens immer auch außerhalb davon. So können bestimmte Umgebungsfaktoren, z.B. eine Lichtquelle, zum integralen Bestandteil des Wahrnehmungsprozesses werden, die die Erkenntnis z.B. einer bestimmten materiellen Struktur allererst ermöglichen. Der Wissen generierende Handlungsprozess ist auf diese Weise aufgespalten auf die Umgebung.
Tatsächlich sind Wissen (Idee oder Fiktion) und Realität nicht zu trennen. Es gibt wissenschaftliche Erkenntnis nicht unabhängig von unserer Wahrnehmung und unserem Gefühl. Wissensbestände, deren Aneignung uns mühsam erscheint, werden wir uns wie von selbst aneignen wollen und aneignen, sobald wir sie in einen Kontext eingeordnet haben, der es uns gestattet, uns selbst in ihnen wiederzuerkennen, zu erkennen, dass sie zu uns gehören. Sobald wir zwischen der Sache und uns selbst keinen wesentlichen Unterschied mehr machen, bleiben Langeweile und fehlende Motivation als das, was uns daran hindert, uns zu verändern, aus.
Wissen wird im Handeln fortlaufend aktualisiert. Neue oder zusätzliche Relationen (= Beziehungen, Unterscheidungen) führen zu einer Modifikation des bestehenden Wissens. Die Kontrolle über die Entstehung von Wissen erfolgt daher über die Einführung neuer Unterschiede.
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